Kraftwagen: Kutsche ohne Pferde

Kraftwagen: Kutsche ohne Pferde
Kraftwagen: Kutsche ohne Pferde
 
Mit der Erfindung des Autos untrennbar verbunden sind die süddeutschen Konstrukteure Carl Benz in Mannheim und Gottlieb Daimler in Bad Cannstadt, der mit Wilhelm Maybach zusammenarbeitete. Die Fahrzeuge dieser Erfinder entstanden wohl unabhängig voneinander, wurden aber nahezu gleichzeitig, in den Jahren 1885 und 1886, erprobt. Dieser Zeitpunkt ist nicht zufällig, denn ein wichtiger Patentanspruch wurde gerade erfolgreich angefochten: Der Viertaktmotor von Nicolaus Otto, patentiert 1876, war nun frei verfügbar geworden. Das Verdienst von Benz war die Neukonstruktion eines zweckmäßigen Straßenfahrzeugs als Einheit aus Fahrgestell und einem solchen schnell laufenden Verbrennungsmotor. Ottos bisherige Motorenkonstruktion musste dazu erleichtert und für flüssiges Leichtbenzin tauglich gemacht werden. Benz ließ diesen anfangs dreirädrigen Wagen im Januar 1886 vom Kaiserlichen Patentamt schützen, Daimler und Maybach hingegen entwickelten einen leichten Einbau-Verbrennungsmotor, mit dem Straßenfahrzeuge, aber auch kleine Boote, Lokomobile und Kleinlokomotiven motorisiert werden sollten. Ihr erster Versuchsträger war 1885 ein hölzernes Motorzweirad mit Stützrädern, bevor ein Jahr später ein einzylindriger Motor in eine »Victoria«-Kutsche eingebaut wurde.
 
Das Produkt Automobil hatte aber noch eine ganze Reihe von Voraussetzungen, von denen das Fahrrad wohl am wichtigsten ist. Es hatte bereits vor dem Erscheinen des Motorwagens den Wunsch nach freier, individueller Mobilität geweckt und war für Hunderttausende ein Verkehrsmittel für Beruf und Freizeit. Doch nicht nur das: Ohne die technischen Elemente des Fahrrads wäre das Automobil undenkbar. Viele der ersten Motorwagen wurden einfach aus zugekauften Fahrradteilen zusammengebaut, wie auch schon der Benz-Patentmotorwagen. Der Erfinder bestellte praktisch alle Fahrgestellteile aus der Serie einer Fahrradfabrik, den Adler-Werken in Frankfurt am Main. Das Chassis von Daimlers und Maybachs Stahlradwagen »Quadricycle« wurde sogar komplett von der damaligen Fahrradfabrik NSU in Neckarsulm gebaut. Aber auch die Kutschentechnik der Zeit war so hoch entwickelt, dass viele Bauweisen direkt in die Konstruktion der Automobile einflossen.
 
Die süddeutschen Autoerfinder sind allerdings nicht generell die Erfinder des Automobils, sondern allenfalls des selbstbeweglichen Fahrzeugs mit Verbrennungsmotor. Denn mit Dampf und Elektrizität betriebene Fahrzeuge waren um 1890 schon weit verbreitet. Sie waren recht erfolgreich und in vielem die besseren Konkurrenten. Ein Fahrzeug mit elektrischem Antrieb erzielte im Jahr 1899 erstmals mehr als 100 km/h auf der Straße, ein Dampfwagen 1906 200 km/h. Elektrovehikel waren zudem leiser, viel einfacher zu starten und zu fahren als die pannenträchtigen Benzinautos, für die eigentlich nur die größere Reichweite sprach.
 
 Die ersten Automobilisten
 
Anfangs war das Fahren von Benzinwagen ein komplizierter Vorgang. Oft unberechenbare und tückische Lenk- und Fahreigenschaften der frühen Fahrzeuge, schlechte Straßen und viele Hindernisse verlangten vom Fahrer viel Geschick. Die Drehzahl des Motors konnte nur sehr unzulänglich variiert werden; der Fahrer hatte die Vergasung des Kraftstoffs und die Zündung so weit selbstständig zu regeln, dass der Motor »rund« lief. Vergaser und Zündanlage waren zudem störanfällig, das Schalten erforderte Kraft und Geschick, die Pneumatiks, die Luftreifen, waren immer pannenträchtig. In der Regel mussten die »Benzinkutschen« von mechanisch ausgebildeten Chauffeuren gefahren werden, die auch die häufig erforderlichen und schmutzigen Wartungsarbeiten durchführten und für kleinere Reparaturen sorgen konnten.
 
Für viele Automobilisten war die Unzuverlässigkeit der technischen Vehikel aber sogar eher Herausforderung als Kaufhindernis. Nicht einmal die zahlreichen Pannen hielten die Pioniere des Autoreisens von langen Fahrten ab. Schon in den ersten beiden Jahrzehnten wurden weite Reisen unternommen. Doch im Straßenverkehr erschien das Auto als vielfach angefeindeter Eindringling. Autos lärmten, zogen gewaltige Staubwolken hinter sich her und waren viel zu schnell. Verglichen mit der Geschwindigkeit anderer Straßenbenutzer, raste das Auto auf gefährliche Weise. Spielende Kinder und Tiere auf der Fahrbahn wurden häufig gefährdet; nicht selten kam es zu schweren Unfällen. Rücksichtslose Herrenfahrer und »strolchende« Chauffeure, die sich den Wagen der Besitzer für Spritztouren ausliehen, trugen zum schlechten Ruf der frühen Autofahrer bei.
 
Auch für die Behörden waren die Motorwagen anfangs Störfaktoren im bisherigen Straßenverkehr. Mit regional sehr unterschiedlichen Polizeiverordnungen versuchten sie, die Geschwindigkeit des »Fahrens mit elementarer Kraft« an die bisher üblichen Dimensionen anzupassen. So galten anfangs 6 km/h innerorts und 12 km/h über Land. Auch die Registrierung der Fahrzeuge zur Identifizierung von Übeltätern und Versicherungen der Haftungspflicht wurden vor dem Ersten Weltkrieg obligatorisch. Mit Treibstoffversorgung, eigener Verkehrspolizei, spezieller Gesetzgebung und eigenen Straßen entstand langsam das System des motorisierten Straßenverkehrs.
 
Beinahe wäre jedoch die Markteinführung des Automobils gescheitert - die Käufer blieben anfangs aus. Die deutschen Pioniere verstanden das Automobil als Industrieprodukt, das auf Industrieausstellungen neben Dampfmaschinen stand. Technisch entwickelt wurde der Benzinwagen also in Deutschland, doch seine Durchsetzung erfolgte in Frankreich. Französische Hersteller wie de Dion und Darraq, ausgestattet mit viel mehr Kapital als die kleineren deutschen Betriebe, bauten ihre Wagen anfangs mit importiertem technischem Know-how, vermochten sie aber bald als »Flaneurvehikel« für die Pariser Gesellschaft zu verkaufen. Reiche und Schöne, Sportsmänner und modebewusste Frauen begannen sich schon in den 1890er-Jahren für das neue Motorvehikel zu begeistern. Nicht zuletzt auf die Anforderungen dieser wenig technisch interessierten Nutzer hin wurde das Auto zuverlässiger und einfacher zu bedienen. Die langsame Weiterentwicklung des Motorwagens in Richtung auf Praxistauglichkeit und Zuverlässigkeit ging somit auf französische Anstöße zurück.
 
In Deutschland begann der Erfolg erst, als sich die Eliten des Kaiserreichs für das Motorvehikel einsetzten. Prinz Heinrich von Preußen, der Bruder des Kaisers, war es vor allem, der sich für Automobile begeisterte und sie intensiv förderte. Ein Mittel dazu war die Ausschreibung von Renntrophäen. Durch Autorennen steigerten sich die Leistung und die Geschwindigkeit der Fahrzeuge rasch; sie zogen trotz - oder wegen - schwerer Unfälle große Menschenmassen an und wurden zu nationalen Prestigeangelegenheiten.
 
 Vom Luxusgefährt zum Verkehrsmittel
 
Seit den 20er-Jahren entwickelte sich das Auto zum wahrhaft weltumspannenden Erfolg. Vom Sport- und Repräsentationsfahrzeug wurde es zum alltagstauglichen Verkehrsmittel, das, ausgehend von den USA, auch für breite Schichten erschwinglich wurde. Henry Fords amerikanische Produktionsmethoden verbilligten die Herstellung dieses hochkomplexen Produkts in den 20er-Jahren entscheidend. Deutschlands Volksfahrzeuge waren zu dieser Zeit noch zumeist Motorräder. Die Nationalsozialisten betrieben dann eine ausgesprochen autofreundliche Politik: Spezielle, Kraftfahrzeugen vorbehaltene Autobahnen wurden gebaut. Nach dem Zweiten Weltkrieg, der von Panzern und Lastwagen dominiert wurde, erlebte auch die Bundesrepublik einen beispiellosen Autoboom.
 
Fahrzeugbau in hohen Stückzahlen und massenhafter Autokauf wurden zum Motor des deutschen Wirtschaftswunders. Heute baut Deutschland rund 4 Millionen Automobile jährlich; weltweit sind es 60 Millionen. Mit 40 Millionen Personenkraftwagen sind wir eine voll motorisierte Gesellschaft, die allerdings die Folgen für die Umwelt und die Überlastung des Straßenverkehrssystems deutlich zu spüren bekommt.
 
Dr. Kurt Möser

Universal-Lexikon. 2012.

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